Tag der Provenienzforschung: Zur Herkunft zweier Trommeln der Sámi
Teil 1: Zur Geschichte der Waldenburger Trommeln
Kultur ohne Erbe
Am 3. April 2012 wurde in Inari, einem kleinen Dorf in Finnisch-Lappland, ein lang ersehntes Gebäude eröffnet: das Sajos-Zentrum für samische Kultur und Politik. Es ist seitdem fester Sitz des Sámiparlaments. Knapp 100 000 Sámi leben heute im nördlichen Norwegen, in Schweden, Finnland und auf der russischen Kola-Halbinsel als Minderheit, die lange für ihre Anerkennung kämpfen musste. Der beharrliche Wunsch nach Autonomie der Sámi ist verständlich: Die Unterdrückung der samischen Kultur, ihrer Rechte und Sprache zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Geschichte und erreiche im 17. Jahrhundert mit der Eroberung durch christliche Missionare einen Kulminationspunkt. Die Architektur des Gebäudes zitiert deshalb wichtige Symbole: So hat der Parlamentssaal eine lang gestreckte ovale Form, die an eine übergroße, schamanische Sámi-Trommel erinnern soll. Für die Sámi sind diese Trommeln keine simplen Musikinstrumente, sondern essenzielle Geräte für den Alltag und das religiöse Leben: Jeder Schamane besaß eine eigene Trommel, zu deren Rhythmus er sich in Trance versetzen, in den aufgemalten Zeichen auf der Rentierhaut lesen, eine gute Jagd vorhersehen oder Krankheit in der Gemeinschaft begegnen konnte. Im Zuge der Missionierung der Sámi durch evangelische Missionare aus Dänemark während des 17. und 18. Jahrhunderts wurden die magischen Ritualgegenstände zu Hunderten vernichtet oder (insbesondere in Kopenhagen) konfisziert und in europäische Wunderkammern als Kuriositäten verkauft. Bis heute haben sich knapp 70 dieser Trommeln erhalten – und kaum eine befindet sich noch in samischem Besitz. Die Trommeln sind über den ganzen Globus verstreut, zwei sind annähernd 3 000 Kilometer südlich von Inari im Naturalienkabinett Waldenburg erhalten. Wer hier das Linck-Zimmer betritt, steht vor zwei Sámi-Trommeln aus dem 17. Jahrhundert, die wegen ihrer unauffälligen Erscheinung jedoch meist unbeachtet bleiben oder allenfalls für kuriose alte Musikinstrumente gehalten werden. Dass es sich um bedeutende Ritualobjekte der lange Zeit unterdrückten und weitgehend vergessenen Kultur der Sámi handelt, teilte sich in der Geschichte des Naturalienkabinetts bislang nur phasenweise mit.
Vergessen - und Wiederentdeckt
Die Entdeckung der Waldenburger Sámi-Trommeln beginnt in den 1930er Jahren und fiel mit der Beschreibung nordeuropäischer Völker durch die damalige völkerkundliche Forschung zusammen. Im Jahr 1932 reiste der schwedische Ethnologe Ernst Manker, Mitarbeiter der ethnografischen Abteilung am Naturhistoriska Riksmuseet in Stockholm, durch Europa. Manker war auf der Suche nach alten Sámi-Trommeln, die er für eine der ersten und gründlichsten Erfassungen aller erhaltenen Stücke aufnahm. In Deutschland trieb es ihn vom thüringischen Meiningen über Leipzig bis nach Berlin – und schließlich nach Waldenburg. Hier hatte sich erst kurz zuvor eine kleine Sensation ereignet: Im fürstlichen Schloss Waldenburg war ein seltsames Objekt gefunden worden, das als »Trommel aus Lappland « identifiziert wurde. Die Recherchen des Waldenburger Fürsten Günther von Schönburg-Waldenburg ergaben, dass die Trommel zur lange eher unbeachteten Linck-Sammlung gehörte und sich laut dem Sammlungsverzeichnis von 1787 eine zweite in der Sammlung befunden haben musste. Erneut wurde der Fürst im Schloss Waldenburg fündig und entdeckte laut erhaltener Archivquellen „in einem verborgenen Winkel die zweite Trommel (…), wenngleich auch übel zugerichtet.« Beide Stücke wurden im Museum für Zoologie und Anthropologie in Dresden restauriert.
Der von den Trommeln begeisterte Manker fragte Fürst Günther an, beide Trommeln nach Stockholm auszuleihen, um sie dort in größerer Runde am Original zu studieren. Der Fürst stimmte dem Ersuchen zu und sandte beide Sámi-Trommeln im Jahr 1934 mit Unterstützung der Schwedischen Gesandtschaft in Berlin in das Reichsmuseum Stockholm. Über den ungewöhnlichen »Besuch« aus Sachsen berichtete am 28. Februar 1934 das Stockholms Dageblad, der Artikel wird bis heute in den fürstlichen Akten bewahrt. Auf einer darin abgedruckten Fotografie sind Ernst Manker und der Ethnologe, Afrikanist und Direktor des Reichsmuseums Gerhard Lindblom beim Untersuchen einer Waldenburger Trommel zu sehen. Manker ist im Begriff, mit dem Hammer auf das Trommelfell zu schlagen. Welchen völkerkundlichen Wert die Trommeln hatten, lässt der schwedische Berichterstatter am Ende des Artikels wissen: »Bekanntlich bilden die Lappentrommeln [. . .] mit den auf dem Trommelfell gemalten Figuren und Zeichen unsere einzigen vollkommen authentischen Urkunden aus der alten Vorstellungswelt der Lappländer.« Die wissenschaftlichen Folgen dieser Reise waren für die Waldenburger Stücke hoch bedeutend: Manker beschrieb beide Trommeln umfassend in seinem Buch und widmete ihnen einen zusätzlichen Aufsatz. Beide Stück wies er der Linck-Sammlung zu und bemerkte zu Recht, dass Johann Heinrich Linck d. Ä. während seiner Lehrzeitals junger Apotheker in den Jahren 1690 bis 1694 an der Dänischen Hofapotheke in Kopenhagen war. Dort dürfte er nicht nur die Wunderkammer des Sammlers Ole Worm gesehen haben, zu der ebenfalls eine Sámi-Trommel gehörte; über Kopenhagen als Umschlagplatz für den Verkauf konfiszierter Trommeln war der Erwerb eines oder mehrerer Stücke für die Leipziger Sammlung ein Leichtes. Dass Linck d. Ä. jedoch wenigstens bis 1723 in Kontakt mit seinem Kopenhagener Netzwerk stand, an die Trommeln also auch später gekommen sein könnte, wusste Manker noch nicht. Als vollkommen authentisches Stück galt Manker die Waldenburger Trommel mit den eingeritzten Initialen »OT« aus der Region um Ume älv, während er das andere Stück mit den Initialen »NNSR« der Region um Lule Lappmark zuschrieb und wegen der nahezu unbenutzten Membran und einer »untypisch lappischen« Bemalung nur zum Teil als Original anerkannte. Fürst Günther wies dennoch beiden Trommeln einen neuen Platz im Linck-Zimmer zu, wo sie sich bis heute, geschützt in gläsernen Gehäusen, befinden.